Buchempfehlungen

Bei unseren Buchempfehlungen haben wir uns diesmal ebenfalls an unserem
Ausgabenthema orientiert und stellen euch hier Bücher vor, in denen es um
Hexen oder zumindest um Magie geht, ebenso wie ein zum Thema passendes
Sachbuch. Wir freuen uns außerdem sehr, dass wir diesmal drei Gastrezensionen
dabeihaben, nämlich von Amalia Zeichnerin, Nico aus dem Buchwinkel und
Yvonne Tunnat. Vielen Dank an die drei für ihre Beiträge!


DOMINIQUE VALENTE
DER ZAUBER VON IMMERDA. BAND 1: DIE SUCHE NACH DEM
VERSCHWUNDENEN DIENSTAG
Illustriert von Sarah Warburton
Aus dem Englischen übersetzt von Sandra Knuffinke und Jessika Komina
Genre: Fantasy, Kinderbuch ab 6
Erschienen 2020
Bei Fischer Sauerländer
ISBN: 978—3-7373-5687-9
„Vielleicht braucht man gar keine Supermagie, um die Welt zu retten. Vielleicht
muss man einfach bereit sein, es zu versuchen.“ (S. 200)
Auf den Montag folgt plötzlich der Mittwoch und niemand kann sich daran
erinnern, dass es je einen Tag dazwischen gab, geschweige denn, was er*sie an
dem Tag gemacht hat. So kommt es, dass am Freitag die mächtige Hexe Moreg
Vaine bei Anemona auftaucht. Diese ist eine junge Hexe mit der wenig
gewürdigten Fähigkeit, Sachen wiederzufinden. Zusammen mit dem Monster von
unterm Bett, dem „Hauskobold“ von Anemona, machen sie sich auf den Weg, um
den Dienstag zu finden und die Umstände seines Verschwindens aufzuklären.
Denn nur wenn der Dienstag gefunden und das Weltgefüge wieder hergestellt
wird, kann die Welt vor dem Untergang bewahrt werden.
Auch wenn der erste Rückschlag recht früh kommt und sich die Wege der Hexen
trennen, so schafft es Anemona doch, Freund*innen und Gefährt*innen für ihre
Weiterreise zu finden, einen Wolkendrachen, der verzweifelt ist, weil er nicht
weiß, was mit dem Babydrachen aus dem kaputten Ei passiert ist, und einen
Dunkelseher, der die Erinnerungen der Menschen in seiner Umgebung lesen
kann. Neben dem offensichtlichen Weltretten geht es in diesem Buch ums Vergessen,
Verdrängen und Erinnern, um Mechanismen zur Unterdrückung von Minderheiten
(in diesem Fall Magiebegabte und weniger Begabte) und die Überwindung von
Vorurteilen. Es ist ein spannendes, berührendes, fantasievollgepacktes Buch mit
leisen, traurigen Seiten, aber auch wütenden, lauten Passagen. Anemona
akzeptiert ihre „kleine“ Gabe und findet das Selbstbewusstsein, das ihre Familie
ihr bis dahin verwehrt hat.
Wer, so wie ich, von Immerda nach einem Band noch nicht genug hat, kann in
zwei weiteren Bänden dahin abtauchen. Das Buch enthält zum Teil halbseitige
Illustrationen und eine Karte im Buchdeckel, die die Welt wunderbar
veranschaulichen. Es ist auf jeden Fall nicht nur ein Buch für Kinder zum Vorlesen
und Selberlesen.
[hks]


KEVIN HEARNE
TINTE & SIEGEL: DIE CHRONIK DES SIEGELMAGIERS 1
Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Mader
Genre: Urban Fantasy
Erschienen 2021
Bei Klett-Cotta
ISBN: 978-3608982039
Keine Hexe, aber ein altgedienter Siegelmagier ist der Schotte Al MacBharrais. Er
gehört im bereits mit der Reihe des „Eisernen Druiden“ bespielten Urban-Fantasy-
Kosmos zu einer internationalen Riege von Magiekundigen, die mit der
Kombination von Tinte und Papier zaubern können. (Es gibt immer wieder
liebevolle Zwischenkapitel, in denen MacBharrais nach Zutaten für besondere
Tinten oder Schreibutensilien sucht.) Irgendwann wird es Zeit für diese
Normalsterblichen, ihre Macht an die jüngere Generation abzutreten, doch
MacBharrais hat das große Problem, dass es einem Todesurteil gleichzukommen
scheint, bei ihm in die Lehre zu gehen. Seine Lehrlinge sterben nicht an
aberwitzig-paranormalen Einsätzen, sondern ersticken zum Beispiel an einer
Rosine im Scone. Dabei lastet doch schon ein Fluch auf MacBharrais: Wenn er mit
seiner Stimme spricht, fangen Leute an, ihn zu hassen, weshalb er auf eine
SprachApp zurückgreifen muss.
Die bislang zweiteilige Reihe um den verfluchten Siegelmagier und größtenteils
keltische Mythengestalten besticht durch die Figuren: den alten weißen Mann
MacBharrais als sensible Seele mit einem Herz für Außenseiter*innen, unter
denen das Highlight eindeutig die lesbische indische Kriegshalbgöttin Nadia ist.
[jcv]


LORRAINE AVILA
THE MAKING OF
YOLANDA LA BRUJA
Genre: Coming of Age, Urban Fantasy
Erschienen 2023
bei Levine Querido
ISBN: 978-1646142439
„Hey NRA, what if your kid does not come home today?“
Der Roman „The Making of Yolanda la Bruja“ schildert, wie die siebzehnjährige
Yolanda mit ihren wachsenden übersinnlichen Fähigkeiten zurechtkommt, allem
anhand des neuen Schülers Ben, zu dem sie nachhaltig verstörende und
gewaltvolle Visionen heimsuchen.
Ben ist weiß, und sein Vater ein einflussreicher Politiker mit Geld. In Yolandas
Visionen von Ben bringt er eine Waffe mit zur Schule und setzt diese gegen seine
Mitmenschen ein. Doch wie soll sie damit umgehen, dass sie weiß, dass Gefahr
von ihm ausgeht, aber nichts beweisen kann?
Mir war nicht bewusst, in welch großer Gefahr Jugendliche wie Yolanda in ihrem
Alltag schweben, und dieser Roman hat mir deutlich gezeigt, dass Gewalt und
Gefahr für Leib und Leben nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel sind,
zusätzlich zu all den rassistische Mikro-Aggressionen, wie die Verfolgung durch
Ladendetektive. Avila zeigt dies anhand der Geschichten von Yolanda und ihrem
Umfeld und macht deutlich, dass es nicht in der Verantwortung von jungen
Menschen wie Yolanda liegen darf, Gefahr zu erkennen und ihr auszuweichen.
Der Weltenbau ist gelungen, sowohl die realistischen Aspekte als auch die
phantastischen. Yolanda trägt ein Cochlea-Implantat, beherrscht zusätzlich
Gebärdensprache (und nutzt sie auch im Alltag manchmal noch), ihre Eltern
stammen aus der Dominikanischen Republik, ihre Erstsprache ist Spanisch. An
Yolandas Schule gibt es kaum weiße Schüler*innen.
Die phantastischen Aspekte beziehen sich auf Yolandas übersinnliche
Fähigkeiten – sie hat Visionen, die sich meist als wahr herausstellen. Das
Vorhandensein von Hexen und ihren Fähigkeiten ist den meisten in dieser Urban-
Fantasy-Welt bewusst.
Die vielen liebevollen Details zu Yolandas Familie und Freundeskreis, zur Schule
und zum Umfeld, machen den Roman zu einem authentischen, sehr modernen
und auch progressiven Werk, in dem Yolanda trotz ihrer Andersartigkeit akzeptiert
wird; darum wird gar kein großes Gewese gemacht, weder von ihrem
Freundeskreis noch von ihrem Freund José. Yolandas Beziehung zu José ist
angenehm untoxisch und erfrischend unkompliziert, von beiden Seiten
wertschätzend, so etwas lese ich durchaus zu selten!
[Gastrezension von Yvonne Tunnat]


C. S. MALERICH
THE FACTORY WITCHES OF LOWELL
Genre: Historische Urban Fantasy
Erschienen 2020
Bei Tor.com
ISBN: 978-1250756565
„The Factory Witches of Lowell“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine packende
Geschichte nicht zwangsläufig viele Seiten braucht. Die dünne Novelle erzählt
von einem Streik von jungen Weberinnen in den USA, die für bessere
Arbeitsbedingungen und Bezahlung kämpfen. Vermischt wird diese historische
Episode mit sehr stofflicher und gemeinschaftlicher Magie, mit der die kleiGruppe sich
mittels eines Zaubers verpflichtet, den Streik nicht zu brechen,
indem sich die Mitstreiterinnen gleichsam selbst miteinander verweben. Es geht
um die Frage, wem Arbeit und Werkzeuge eigentlich gehören und ob es
überhaupt möglich ist, sie sich zu eigen zu machen, um Änderungen zu
erzwingen. Die Novelle konzentriert sich dabei auf die unmittelbaren Tage des
Streiks und erzählt nebenbei noch eine Liebesgeschichte zwischen zwei der
streikenden Weberinnen.
[lr]


JANINA RAMIREZ
FEMINA – EINE NEUE GESCHICHTE DES MITTELALTERS AUS SICHT DER
FRAUEN
Aus dem Englischen übersetzt von Karin Schuler
Genre: Sachbuch
Erschienen 2023
Beim Aufbau Verlag
ISBN: 9783351041816
Um Hexen geht es in Ramirez’ personenbezogener Chronik des europäischen
Mittelalters nicht, aber um Ketzerinnen, Mystikerinnen und andere, die sich dem
entziehen, was in ihrer Zeit und in unserer Betrachtung dieser Zeit von einer Frau
erwartet wird. Es sind bekannte Persönlichkeiten darunter, wie Hildegard von
Bingen, ebenso Frauen, die zugunsten männlicher “Nationalmythen” wie Alfred
dem Großen vorsätzlich vergessen wurden, z. B. Æthelflæd von Mercia. Es sind
namenlose Frauen wie die, die den Teppich von Bayeux bestickten (und vielleicht
in Auftrag gaben?), von anderen ist wenig mehr als ihre Namen überliefert, wie
bei den Katharerinnen, die sich Ehe und Schwangerschaft verweigerten. Es sind
Frauen darunter, die den Titel „König“ statt „Königin“ annahmen, weil ihnen das
geschlechtliche Machtgefälle von Sprache sehr wohl bewusst war, wie König
Jadwiga von Polen. Das letzte Kapitel versucht, auch mehrfach marginalisierten
und dadurch noch unsichtbareren Frauen im Mittelalter auf die Spur zu kommen,
wie Schwarzen Frauen und trans Frauen. Mir hat besonders gut gefallen, dass die
Autorin „auf Lücke“ erzählt und sich bewusst ist, dass es einseitig ist, eine
weibliche Geschichte des Mittelalter zu erzählen – dass diese Einseitigkeit aber
stets unsichtbar war und ist, wenn wir Historie als die Geschichte von Männern
erzählen.
[jcv]


JUNO DAWSON
DER HEXENZIRKEL IHRER MAJESTÄT – DAS BEGABTE KIND
Aus dem Englischen übersetzt von Constanze Wehnes
Genre: Urban Fantasy
Erschienen 2022
Bei Knaur
ISBN: 978-3-426-52879-2
„Der Hexenzirkel Ihrer Majestät“ handelt von vier Freundinnen, allesamt Hexen:
Niamh, deren Mann verstorben ist, Elle, die der Magie eigentlich abgeschworen
hat, Helena, die mittlerweile Hohepriesterin des britischen Zirkels ist, und Leonie,
die einen eigenen Zirkel für Hexen of Color gegründet hat. Die Leben der vier
werden erschüttert, als von den Orakeln der Untergang aller Hexen vorhergesagt
wird – ausgelöst durch ein Kind. Allerdings stellt sich das Kind nicht als
Wiedergeburt des Teufels heraus, es ist nur ziemlich überfordert. Mit sich, der
Magie, der Welt. Im Streit um das Schicksal des Kindes droht die Freundschaft der
vier Hexen zu zerbrechen.
Gender und der Umgang damit sind große Themen im Buch. Dawson (sie/ihr)
positioniert sich klar und legt den Protagonist*innen viele der Vorurteile in den
Mund, mit denen trans Personen tagtäglich zu kämpfen haben. Diese Aussagen
werden durch die Geschichte dann seziert und als widersinnig entlarvt. Eine
politische und aktuelle Hexengeschichte also. Und noch dazu enorm spannend.
Das letzte Drittel habe ich in einem Stück gelesen und war am nächsten Morgen
todmüde, weil ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Eine große
Leseempfehlung von mir!
„Das begabte Kind“ ist der Auftakt einer Trilogie. Band zwei „Die falsche
Schwester“ ist seit Juni ebenfalls auf Deutsch erhältlich.
[Gastrezension von Nico aus dem Buchwinkel]


GWEN KATZ
AMONG THE RED STARS
Genre: Historisches Jugendbuch
Erschienen 2018
Bei HarperTeen
ISBN: 9780062642752
Von einer anderen Sorte Hexen erzählt das Jugendbuch „Among the Red Stars“ –
nämlich vom sowjetischen 588. Nachtbomberregiment im 2. Weltkrieg, das den
meisten wohl besser als die „Nachthexen“ bekannt ist. Da es ein Jugendbuch ist,
werden die Kriegsgräuel zwischen deutschen und sowjetischen Soldat*innen nur
gestreift, worum ich aber ob der aktuellen politischen Lage dankbar war. Dabei ist
jedoch von Verklärung der UdSSR keine Spur, im Gegenteil wird der Kontrast „das
Land militärisch vor Faschisten verteidigen wollen“ und „von der Politik im
eigenen Land desillusioniert bis bedroht sein“ gut beleuchtet. Der Roman lebt von
der Gemeinschaft der jungen Frauen im Nachtbomberregiment und von den
ausführlichen Briefen, die Protagonistin Valka mit ihrem Freund Pasha, der Funker
an der Front ist, austauscht. Der sensible, verletzliche Pasha ist eingezogen
worden, während sich die Frauen freiwillig als Pilotinnen melden und dabei von
mächtigeren Männern und auch den wenigen hochrangigen Frauen kleingemacht
und zurückgehalten werden. Die Verflechtungen von Geschlecht, Macht, Gewalt
und Krieg werden auf eine Weise erzählt, die berührt, aber nicht verzweifeln lässt.
[jcv]


AMALIA ZEICHNERIN
HEXEN IN HAMBURG:
VERFLUCHT
Genre: Urban Fantasy
Erschienen 2022
Im Eigenverlag
ISBN: 9783757502775
„Verflucht“ ist der Auftakt einer Cozy-Mystery-/magischen Realismus-Reihe, in
der jeder Band ein anderes Mitglied eines Freundeskreises in den Fokus nimmt.
Im ersten Band ist es die polyamouröse Hexe und Neuheidin Henny, die einen
kleinen Hexenladen in Hamburg ihr eigen nennt und einen Stammtisch für
Gleichgesinnte in einer Mittelalterkneipe organisiert. Als sich ein Neuer für den
Stammtisch interessiert, erkennt Henny ihn sofort an seinen Tattoos als Neonazi
und lässt ihm Hausverbot erteilen. Doch am nächsten Morgen ist ihr Laden
verwüstet und ein altskandinavischer Fluchpfahl steht vor der Tür. Henny und ihre
Freund*innen sind ab jetzt vom Pech verfolgt – wie können sie Fluch und Neonazis
loswerden?
Wie in Patricia Eckermanns „Die Schwarze Träumerin“ (s.u.) ist es auch
Zeichnerin ein Anliegen, weder nordische Mythen noch die eigene Subkultur den
Identitären zu überlassen. Sie schildert eine tolerante Neuheid*innenszene, die
null Toleranz für Nazis hat.
[jcv]


SAMEENA JEHANZEB
WINTERHOF : HÖRST DU DEN RUF DES SCHNEES?
Genre: Climate Fiction, Urban Fantasy
Erschienen 2020 (Neuausgabe)
Selbstverlag
ISBN: 978-3-96698262-7
„Winterhof“ ist eine Märchenadaption, die es in sich hat und so gar nichts fürs
gute Träumen ist. Kora ist glücklich verheiratet und Mutter von zwei kleinen
Kindern. Sie fühlte sich immer schon zu Kälte und Schnee hingezogen. Da die
Welt immer wärmer und damit der Schnee immer seltener wird, beschließt sie,
mit ihrer Familie Urlaub in einem kleinen Dorf zu machen, in dem angeblich die
Schneekönigin wohnt. Nach einigen schönen Tagen trifft sie die Schneekönigin
tatsächlich. Diese stellt sich als herzlose, kalte Eishexe heraus, die Kora vor eine
Entscheidung stellt, bei der sie nur verlieren kann.
Ich habe mehrfach schlucken müssen, denn dieses Buch ist auf verschiedenen
Ebenen keine leichte Lektüre. Wie im Vorwort angekündigt, ist es ein Märchen,
das beißt. Die Verquickung von Klimakatastrophe und individueller Entscheidung
ist gut gelungen.
Es gibt aber auch einige wirklich schön beschriebene Momente, z. B. die
Begegnung der Kinder mit ihrem ersten Schnee und eine leise lesbische
Liebesbeziehung.
Es ist eine kalte, berührende, faszinierende Novelle mit absehbar bitterem
Ende. Ein Schneemärchen, in dem die Kapitel herunter zählen. Zudem ist es ein
von der Autorin selbst wunderbar gestaltetes Buch mit schönen Zeichnungen und
einem beeindruckenden Cover. Sehr lesenswert!
[hks]


C.L. POLK
DER MITTERNACHTSPAKT
Aus dem Englischen übersetzt von Judith C. Vogt
Genre: Historische Romantasy
Erschienen 2023
Im Piper Verlag
ISBN: 978-3-492-70648-3
In der Regency-inspirierten Fantasywelt, in der Beatrice Clayborn auf ihrer ersten
Ballsaison einen Ehemann finden muss, bedeutet die Ehe für Frauen das E
ihrer Magie. Statt eines Rings wird ihnen ein Halsreif umgelegt, dessen Metall
dafür sorgt, dass sie von sämtlicher Magie abgeschottet werden. Der Grund dafür
liegt darin, dass Geister auf der anderen Seite des Schleiers nur darauf warten,
eine körperliche Gestalt zu ergreifen – zum Beispiel ein Ungeborenes, das noch
keinerlei Möglichkeit hat, sich gegen eine solche Besessenheit zur Wehr zu
setzen. Der Halsreif soll das verhindern – und unterwirft gleichzeitig Menschen
mit Uterus der patriarchalen Kontrolle ihrer Väter und Ehemänner, ebenso wie
die Magie von Gilden männlicher Magier beherrscht wird.
Beatrice ist sich daher eigentlich sicher, dass sich die finanziellen Probleme
ihres Vaters anders lösen lassen müssen als durch eine Heirat – bis sie Ianthe
Lavan und seine ebenfalls der Ehe abgeneigten ace Schwester Ysbeta
kennenlernt. Ist die Liebe zu Ianthe die Unterordnung unter das patriarchale
Gefüge wert?
Ich habe den Roman auf Deutsch übersetzt und bin angetan von der
entschlossenen feministischen Metapher, die Autor*in Polk wählt. Liebe, ein
widerspenstiger Glücksgeist, Magie, eine Freundschaft zwischen zwei sehr
unterschiedlichen Frauen und eine divers besetzte Regency-Welt lassen die
Metapher nie zu deprimierend werden, ohne sie dabei jedoch an Bedeutung
verlieren zu lassen.
[jcv]


IVA MOOR
DIE ALCHEMIE DES TRÄUMENS
Genre: Dark Urban Fantasy, Krimi
Erschienen 2022
Bei Art Skript Phantastik
ISBN: 978-3949880001
Iva Moors Debütroman ist eine spannende Mischung aus Dark Urban Fantasy und
Krimi/Thriller, mit einem Noir-Feeling im New York der späten 1940er. Der Roman
bietet viel Diversität sowie einen sehr originellen Weltenbau, der unter anderem
von Traumdiebstahl, Dämonen, verschiedenen Hexen und Vampiren geprägt is
Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht der beiden Hauptfiguren: der Hexe und
Journalistin Moira Bran sowie der Dämonin Sova Skorpin. Die Diversitätsmerkmale
dieser und weiterer Figuren stehen dabei nicht im Vordergrund, sondern sind
einfach gewissermaßen nebenbei präsent.
Die beiden Hauptfiguren Moira und Sova liefern sich durchgängig frotzelige
Wortgefechte, während sie gemeinsam ermitteln und das liest sich aus meiner
Sicht sehr unterhaltsam. Bei ihren Ermittlungen läuft natürlich auch so einiges
schief und Konflikte sind vorprogrammiert. Moira ist zwar eine Hexe, allerdings
keine besonders talentierte. Wie sich das im Einzelnen auswirkt und abspielt,
möchte ich an dieser Stelle nicht verraten.
Wer sich angesichts des Schauplatzes New York fragt, ob auch bekannte
Sehenswürdigkeiten auftauchen, die es schon in den 1940ern gab: Das ist eher
nicht der Fall, denn ein Großteil der Handlung spielt gewissermaßen in einer
magischen Parallelwelt, die vor der Welt der New Yorker Menschen verborgen
wird.
Autor*innen wird gern geraten, bei ihren Beschreibungen alle Sinne mit
einbeziehen und in Ivas Roman ist besonders der Geruchssinn gefragt – Schwefel,
Myrrhe und noch viele andere Gerüche spielen immer wieder eine Rolle.
Die Autorin scheut sich nicht davor, düstere Themen genauer zu beleuchten:
Traumata, Drogenkonsum (es handelt sich hier gewissermaßen um
Phantastikdrogen) und auch entsprechende Entzugserscheinungen, bis hin zu
Gewalt durch Vampire (eine Phantastikversion von sexualisierter Gewalt) in
einem sogenannten Bluthaus.
Moira bekommt es mit allerhand übernatürlichen Kreaturen zu tun, darunter
auch eine besondere Form von Parasiten. In diesem Zusammenhang gibt es
einiges an Body Horror.
Iva Moor hat mit zwei Sensitivity Readerinnen zusammengearbeitet, für die
Darstellung von PoC und trans Figuren, und es gibt auch eine ausführliche Liste
mit Inhaltswarnungen, zu deren Lektüre ich raten würde.
Mein Kritikpunkt ist »Jammern auf hohem Niveau«: Dieser Roman ist mit seinen
rund 700 Seiten relativ lang und verfügt insgesamt über ein ziemlich großes
Figurenensemble. Mir ist es, auch angesichts des kniffligen Falles und der
verschiedenen Handlungsstränge, schwergefallen, den Überblick über all die
vielen Nebenfiguren zu behalten. Daher hätte ich mir ein Personenverzeichnis
gewünscht. Von diesem Kritikpunkt abgesehen finde ich den Roman sehr
empfehlenswert.
[Gastrezension von Amalia Zeichnerin]


MECHTHILD GLÄSER
DIE WORTE DES WINDES
Genre: Alternate History, Urban Fantasy
Erschienen 2020
Bei Loewe
ISBN: 978-3-7432-0456-0
Vor Jahrhunderten haben die Hexen (nicht nur weiblich) beschlossen, der
Verfolgung und der Wissenschaftsbesessenheit der nichtmagischen Menschen
dadurch zu entgehen, dass sie sich in Kuppelstädte in der Tiefsee zurückziehen.
Gleichzeitig haben sie nie aufgehört, sich unentdeckt und ohne Anerkennung um
das Wetter der Oberwelt zu kümmern, wie es seit jeher ihre Aufgabe war. Dazu
gehörte auch, die bösartigen Stürme in Schach zu halten.
Robin, eine 16-jährige Hexe, die aufgrund eines Diebstahls vor ihrer
Königinmutter fliehen musste und sich nun unter den Menschen einer
Küstenstadt versteckt, wollte nie wieder Magie anwenden und nie wieder den
Ostwind rufen. Einige Jahre lang ist es ihr gelungen, unentdeckt zu bleiben. Doch
als eine Horde bösartiger Stürme auf ihre Stadt zubraust und ein Sturmjäger und
sein nichtmagischer Gehilfe es nicht schaffen, damit alleine fertig zu werden,
greift sie ein und bringt eine ganze Kaskade von Ereignissen ins (G)rollen.
Der Roman entführt uns in einen historisch-alternativen Zeitstrang. Doch die
Wetterkapriolen, die u.a. durch die Turbulenzen und Machtkämpfe im Hexenreich
entstehen, sehen unseren Klimaproblemen schon sehr ähnlich. Wenig
überraschend geht es auch hier darum, dass Eigennutz und Machtspiele (in der
Tiefsee und an der Oberfläche) die Welt zerstören können.
Die Hexen im Roman sind ein Volk, und damit schon einmal anders als viele
Hexendarstellungen. Sie sind innerhalb der Gruppe sehr unterschiedlich, nicht
immer magisch begabt und auch mit unterschiedlichen Berufen betraut. Das hat
mir sehr gefallen, ebenso wie die Wettermagie. Außerdem ist es äußerst
amüsant, sich vorzustellen, dass in unserer Welt in der Tiefsee eine
hochtechnisierte Zivilisation lebt, die mit Magie versucht, unser Wetter zu
regulieren.
[hks]


C. L. POLK
EVEN THOUGH I KNEW THE END
Genre: Noir Urban Fantasy
Erschienen 2022
Bei Macmillan US
ISBN: 978-1250849458
C. L. Polk wird in dieser Ausgabe gleich zweifach empfohlen, aber die Nebula-
prämierte und Hugo-nominierte Novelle „Even Though I Knew The End“ ist auch
einfach zu gut, um sie nicht zu erwähnen! In der Noir Urban Fantasy-Geschichte,
die in den 1940ern in Chicago spielt, ist Hauptfigur Helen eine magiebegabte
Detektivin, die in die Aufklärung von Serien-Ritualmorden verwickelt wird und
dabei plötzlich feststellen muss, dass für sie sehr viel mehr auf dem Spiel steht,
als sie dachte. Die Geschichte dreht sich viel darum, wie Helen als queere Frau in
den 40er-Jahren an den Rändern der Gesellschaft agieren muss. Beispielsweise
darf sie nicht offiziell in einem magischen Orden praktizieren, weil Frauen dort
nur zugelassen sind, wenn sie einem männlichen Familienmitglied zuarbeiten,
und auch eine geheime queere Bar kommt am Rande vor. Die Novelle ist in ihrer
Kürze sehr gut konstruiert und alle Ereignisse und Figuren sind am Ende sinnvoll
zusammengeführt. Dabei hat „Even Though I Knew The End“ viele noirige und
Hard-Boiled-Detective-Vibes, sehr viele übernatürliche Elemente und ein so
bittersüßes Ende, wie der Titel es verspricht.
[lr]


PATRICIA ECKERMANN
DIE SCHWARZE TRÄUMERIN / NICHT SCHON WIEDER
RAGNARÖK
Genre: Urban Fantasy
Erschienen 2023
Bei Tredition
ISBN: 978-3-347-83945-8
Josina, eine junge Schwarze Frau in Köln, beim Lokalfernsehen vom Chef in den
Burnout schikaniert, träumt jede Nacht, dass sie in einem Fluss aus Blut ertrinkt.
Arztbesuche helfen nicht mehr weiter, stattdessen rät ihr die Besitzerin eines
Kräuterladens zum Klarträumen.
In der (großgeschriebenen) WELT nordischer Mythen ist schon wieder Ragnarök
(somit heißt auch der zweite Teil und Abschluss der Romanreihe „Nicht schon
wieder Ragnarök“). Der Feuerriese Surt ist entschlossen, alles dafür zu tun, dass
die Asen endlich ihre Vorherrschaft über die WELT verlieren. Dafür gibt er sogar
seine Liebe zur Amazone auf. Als er über einen Blutfluss setzt, findet er jedoch
auf einmal eine Ertrinkende, in der er die Schwarze Träumerin seiner
Prophezeiung erkennt …
Als in Josinas Welt Beben unter dem Kölner Dom erwachen und die Traumreise
an der Seite von Surt und seinen Gefährten zu immer WELTenerschütternderen
Ereignissen führt, wird ihr klar, dass unsere Welt und die WELT der nordischen
Mythologie eng verwoben sind – und sie selbst Teil einer Saga ist, die anders
verläuft als alle, die wir kennen, und in der der Weltuntergang nicht zwingend
etwas Schlechtes sein muss.
Eckermann setzt auf Teamgeist in beiden Welten, deutet die Motive nordischer
Mythologie um und macht eines ganz besonders klar: Mythen gehören allen, und
alle gehören in Mythen.
[hks]