Queere Gemeinschaften in der Postapokalypse

Ich habe lange mit einem weißen, cis, heterosexuellen, akademischen Freundeskreis gelebt und mir nichts dabei gedacht. Mir ist gar nicht so richtig aufgefallen, dass Menschen miteinander klumpen. Und zwar nicht einfach so irgendwie miteinander, sondern mit Leuten, die ihnen ähnlich sind und mit denen sie Narrative teilen. Das ist sogar schon in den Untertönen spürbar: Irgendwann wurde mir klar, dass die große Mehrheit meines Freundeskreises nicht nur aus weißen cis-heterosexuellen Akademiker*innen bestand, sondern dass es Akademiker*innen aus nicht-akademischem Elternhaus waren. Wir teilten die Narrative, diesen in den Neunzigern natürlich nur noch latent vorhandenen „Struggle“, oft aus dem dörflichen, ländlichen Raum, manchmal als einzige*r aus der Familie, zur Uni gegangen zu sein.

Irgendwie erscheint diese Homogenität von weißen Hetero-Gruppen dabei immer als unpolitische Norm – als der Status Quo, der halt so „ist“. Alle anderen Communities hingegen sind politisch aufgeladen und werden mit Argwohn betrachtet. Das betrifft z. B. Communities von People of Color, bei denen dann oft der Vorwurf kommt, nicht „integrationswillig“ zu sein (wie integrationswillig in andere Communities sind Cis-Hetero-Weiße, frage ich mal so am Rande?). Und natürlich queere Szenen, die nicht nur entstehen, weil es so nett ist, Gleichgesinnte um sich zu haben, sondern weil es für Marginalisierte lebenswichtig sein kann, sich einen Kreis aus Verbündeten und Freund*innen aufzubauen.

Queer empowered unsere ganze Gesellschaft

Ich habe in den letzten Jahren viele Queers kennengelernt und bin dankbar und glücklich, Freund*in meiner schwulen, lesbischen, bisexuellen, trans und nonbinary Freund*innen sein zu können. Tatsächlich glaube ich mittlerweile, dass Queerness lediglich von Jahrhunderten Heteronormativität unterdrückt wurde und ein Teil vom Leben der meisten Menschen darstellt, wenn die Umgebung es erlaubt. Ich finde das sogar außerordentlich wichtig: Queerness ist nicht etwas, das „toleriert“ werden sollte, Queerness ist ein ganz wichtiger Schritt in einem Systemwechsel, empowernd nicht nur für Queers, sondern für unsere ganze Gesellschaft.

Deshalb ist es wichtig, dass Queerness in Medien repräsentiert wird, und nicht nur in Medien, die queeren Struggle zum Thema haben. Nicht nur in Medien, in denen „es passt“. Queerness gehört verdammt noch mal überall dazu, in Filmen, Serien, Büchern, Games, Rollenspielen – fight me!

Die Spiel-Designerin Avery Alder hat queeres Rollenspiel ganz neu gedacht. Sie hat interessante Gedanken dazu, wie sich Rollenspiele „queeren“ lassen, wie Regelmechanismen ein heteronormatives, hierarchisches Weltbild ausdrücken und wie sich Rollenspiele queer denken lassen – nicht nur im äußeren „Erscheinungsbild“, sondern bis hinab in die Knochen der Regelmechanik. Mehr dazu in ihrem Talk, (der übrigens im Rollenspiel-Essay-Band Roll Inclusive (gedruckt / eBook kaufen* ) auf Deutsch übersetzt enthalten ist):

Avery Alder Talk „Designing Queer Games“

Eines ihrer Spiele ist das spielleitungslose Erzählspiel „Dream Askew – queer strife amidst the collapse“. In dem Spiel geht es darum, dass queere Menschen verschworene Gemeinschaften bilden – auch in der Postapokalypse, nein, gerade dort: „We banded together to form a queer enclave — a place to live, sleep, and hopefully heal. More than ever before, each of us is responsible for the survival and fate of our community. What lies in the rubble? For this close-knit group of queers, could it be utopia?

Sind wir bereit für eine Utopie in der Dystopie?

Als ich mit „Dream Askew“ in Berührung kam, saß ich gerade an den ersten Kapiteln des Near-Future-Romans „Wasteland“ (jetzt als eBook oder gedruckt kaufen) – und hatte dafür das Konzept einer queeren Gemeinschaft in der Postapokalypse im Kopf, die Heteronormativität, Gender Binary, Kapitalismus, Hierarchie, Patriarchat und all den Scheiß so gut wie nach 45 Jahren eben möglich hinter sich gelassen hat. Ein Interview mit Avery im 3W6-Podcast hat mich vollends davon überzeugt, dass diese Gemeinschaft den deutlichen Gegenpol zu den hierarchischen (wenn auch nicht länger heteronormativ-binären) Gangs im Umland darstellt und mit diesen in einem wackligen Gleichgewicht lebt. Dass queere Charaktere den Dreh- und Angelpunkt dieser Gemeinschaft darstellen, von den drei polyamoren Großmüttern über den:die nonbinäre Sprecher:in der Gemeinschaft bis zum bisexuellen Protagonisten und seinem trans Bruder. Und dabei sollen weder ihre Queerness noch andere Merkmale problematisiert werden– es mag eine dystopische Ödland-Zukunft sein, aber diese Menschen haben ein kleines Utopia aus den Trümmern geschaffen. Auch beim Thema Neurodivergenz war Avery Alder eine wichtige Inspiration (überhaupt: Avery Alder!! Ist!! Super!!!). In einem Interview sagte sie: „It’s about acknowledging disability and madness and trauma in a way that removes normalcy as our baseline.

Ist das nicht die Zukunft, die wir wahr werden lassen wollen? Eine Zukunft, in der wir unsere Andersartigkeiten und alles, was diese mit sich bringen, anerkennen und uns dennoch alle als ebenso wertvoll wie weird betrachten? Denn: „Every body is a weird body and weird is good.

Wie soll unser Morgen werden? Wie unser Übermorgen? Wie die Welt in 45 Jahren? Sind wir bereit für eine Utopie in der Dystopie?

Mit Queerwelten möchten wir euch besonders dazu ermuntern, que(e)r zu denken, feministisch zu denken, über Heteronormativität und Gender Binary hinwegzudenken in etwas Neues, noch Unerschlossenes. Dafür sind Fantasy und Science-Fiction schließlich da.

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